Samstag, 12. September 2015

Tipps für eine erfolgreiche bretonische Integration - Teil 4

Einmal an einer Hochseeauktion teilnehmen

5:30 Uhr in der Auktion zur Stelle sein und entsprechend eher aufstehen, ist nicht jedermanns Sache, die meine eigentlich auch nicht. Aber wenn es schon einmal eine Tonnage von 97t Fisch gibt, dann kann man sich schon mal aufmachen.

25. August, in Le Guilvinec schläft noch alles, die Küstenboote sind bis auf drei wagemutige alle am Kai geblieben, der Wind geht recht stark mit Böen bis zu 42 Knoten.
Nur hinter der Auktion herrscht geschäftiges Treiben, die LKWs sind geparkt und auf der Panoramaterrasse brennt Licht im Fischereizentrum Haliotika.
Zusammen mit einer Gruppe des meeresbiologischen Instituts der Universität Brest begleite ich Philippe und Manon bei dieser Hochseeauktion mit dem historischen Wert von 97 Tonnen Fisch.

Vorher gibt es die obligatorischen Sicherheitshinweise, die ich für euch mal kurz zusammenfassen will:


  1. Es ist ein Arbeitsbereich, daher Obacht auf die arbeitende Bevölkerung, umgekehrt gilt das nicht unbedingt
  2. Achtung vor den Gabelstaplern, je nachdem, wer am Steuer sitzt, riskiert man überfahren zu werden oder nicht
  3. Es ist glatt, wer nicht zum unfreiwilligen Eiskunstläufer werden will, sollte ruckhafte Bewegungen möglichst unterlassen
  4. Immer schön in der Gruppe, sowie auf einer Seite bleiben
  5. Fotos können gemacht werden
Dann geht es runter über die Wendeltreppe in die Auktionshalle, die in der Form seit 1993/94 besteht, das erste Gebäude gab es schon 1959. Grundfläche 6200m², mit 60 Angestellten (ohne Fischer und Großhändler)

Die Hochseeboote fahren bis zu 300km raus aufs Meer, bis nach Schottland und Irland, für eine Zeit von 8 bis 14 Tagen. Das Arbeitspensum liegt bei 18 Stunden pro Tag und errechnet sich folgendermaßen: Ein Fischvorgang bei einem Hochseeboot dauert ungefähr 5 bis 6 Stunden (Netz runterlassen, fischen, wieder hochziehen), in denen ein Teil der Besatzung schläft, der andere arbietet. Gefischt wird kontinuierlich, also bleiben bei 6 Stunden Schlaf noch 18 Stunden Arbeit. Zwischen jeder Tide (marée im Französischen, das bezeichnet die Ausfahrt aufs Meer) liegen nur 2 bis 3 Tage an Land, wenn man den Rhythmus aus Meer und Land vier Mal durchlaufen hat, darf man zwei Wochen frei nehmen. Wenn die Boote zu irgendeiner Tages- und Nachtzeit ankommen, muss natürlich erst mal abgeladen werden, was schon mal einen halben Tag dauern kann, der Rest des Tages ist mit Aufräumen, Saubermachen und Reparieren ebenfalls dem Boot gewidmet - bleibt also nicht viel vom Landurlaub. Wenn es gut läuft, haben die meisten Boot 15 bis 25 Tonnen Fisch im Laderaum.

Der kommt dann erst mal in den Kühlschrank, ein 700m²-Wunder mit Temperaturen von 0 bis 2°C. Da Le Guilvinec der erste französische Frischfischhafen ist, sollte diese Temperaturspanne auch immer eingehalten werden. 14 Tage ist für jedes Hochseeboot übrigens das absolute Rausfahrlimit, um den Fisch noch frisch wieder in den Hafen zu bringen, da er nur eis- aber nicht tiefgekühlt wird (immer abwechselnd eine Schicht Eis und Fisch).
Kühlschrank

Abends um 9 wird der Fisch wieder rausgeholt und sortiert, nach Art, Größe und Qualität. Bei den 97 Tonnen Fisch an diesem Morgen hatten die Leute die Nacht zuvor bestimmt gut zu tun, denn bis 5:30 Uhr am nächsten Tag muss der Fisch sortiert und gewogen sein, separat für jedes Boot!
"trieuse": Sortiermaschine

Auch das Boot (Coppelia) und die Fischereizone Nordostatlantik (Atlantique Nord-Est) sind verzeichnet
Gewogen wird jeweils ein Stapel aus einer bis fünf Kisten, der dann ein Wiegeetikett bekommt.
Dann geht es endlich los, alles bringt sich langsam in Stellung. Es ist früh am Morgen, man sieht viele gähnende Gesichter, und dampfende Kaffeebecher. Die beiden Verkaufschefs sind auch schon da und bringen sich, einer zumindest, mit etwas mürrischem Gesichtsaudruck auf ihrem rollenden Gefährt, dem Mobyclock, in Stellung.

Der Verkaufschef ist der, der die ganze Auktion leitet und auch der einzige, von dem man mal ein Wort hört, meistens handelt es sich dabei um die Fischart, die er über sein Mikrofon ankündigt. Auch der Startpreis liegt in seinem Verantwortungsbereich, dabei spielen viele Faktoren mit, wie z.B. die Börsengänge in Rungis (Großmarkt von Paris) und Lorient, der Verkauf vom Vortag, die Saison, das Wetter, etc.
Ein schriller Ton, der von einem Ohr durchs Gehirn bis zum anderen Ohr dringt, kündigt den Beginn des Verkaufs an und dann wird gedrückt, was das Zeug hält. Damit meine ich die Fernbedienung, über die die Großhändler an der Versteigerung teilnehmen. 
40 ist die Größe (die größte ist 10, die kleinste 50), daneben steht die Präsentationsart VID (von vidé, ausgenommen; weiterhin gibt es noch ENT für entier, im Ganzen, und ETE für étêté, geköpft), Qualität A heißt sehr gut für einen Fisch, für außergewöhnlich gut erhaltene Fische gibt es E wie extrafrisch, B wäre verletzt (von blessé) und V lebend (von vivant)


Stapelnummer 2060, Boot: Bara Mann (zu deutsch: Butterbrot), derzeitiger Preis: 23,18€, die Strichellinie zeigt an, dass es noch keinen Käufer gibt, Art: Steinbutt (Turbot), Größe 10, ausgenommen, gute Qualität

die beiden Linien ober- und unterhalb des zum Verkauf stehenden Stapels zeigen die verkauften bzw. noch zu verkaufenden Stapel an

Sole (Seezunge), Qualität B (verletzt, von b wie blessé), weitere Qualitäten sind V

Lecoz hat den Kabeljau gekauft


Mit der Versteigerung ist es in Le Guilvinec so eine eigene Sache: Die Gebote steigen nicht, sondern sie fallen. Der erste Großhändler, der seine Fernbedienung betätigt, bekommt den Zuschlag. Da gilt es schnell zu sein, auch wenn man dabei einen zu hohen Preis riskiert, der Nachbar könnte ja schneller sein. Bei großer Nachfrage, z.B. alle drücken gleichzeitig, geht der Preis wieder nach oben; schlussendlich kann also beides vorkommen. Nur selten findet sich kein Käufer für die Ware, 2% werden nicht verkauft und dann für Fischmehl verarbeitet oder an wohltätige Organisationen weitergegeben.

Ist der Fisch einmal verkauft, bekommt er ein neues Etikett:
roter Strich bedeutet verkauft, Käufer ist W-Pechstgu und die kleinen Seeteufelchen wurden für 3,74€/kg verkauft (das ist der Preis ohne Steuern)
Hier noch ein paar fischige Impressionen von der Hochseeauktion:

Roter Knurrhahn (rouget grondin)

Langustinen

Schleimköpfe (béryx)

Langusten






Franzosendorsch (tacaud)

Kuckucksrochen (raie fleurie)

Kleingefleckter Katzenhai (roussette)

noch auf den Verkauf vom Vortag eingestellt (vente côtière ist für die Küstenfischerei am Nachmittag)


Philippe in Aktion

Petersfisch (Saint Pierre)

Großhändler mit Einkaufsliste

Einer der teuersten Fische neben Steinbutt und Seeteufel: die Rotbarbe (rouget barbet)

Seehecht (merlu)




nie ohne Handy



die gefürchteten "fenwicks" (Gabelstapler)

Etikettmaschine


Bitte nicht auf den Kisten laufen



Seezungen

Makrelen (maquereau, NIE maquerel sagen, das heißt "Zuhälter"!)

mit dem Langsamfahren nehmen es die meisten nicht so genau

Bald kommt Arbeit auf die Angestellten der Großhändler zu




unser hübschester Fisch: der Seeteufel (im ganzen "baudroie", auf dem Teller als "lotte" bekannt)

Glatthai (émissole)


 Wenn die Auktion sich dem Ende zuneigt, geht es für die Angestellten der Großhändler erst richtig los, dann heißt es verarbeiten, schneiden, enthäuten, was das Zeug hält:
Tintenfischreste


zu diesen Herrschaften sollte man aufgrund ihrer großen Messer immer schön freundlich sein...



Es blieb auch noch etwas Zeit, mal kurz in den leeren Verkaufsraum der Küstenauktion zu schauen:
Laufband links für die Fische (Posten 2), Laufband rechts für die Krustentiere (Posten 1)
Hier ist es nachmittags nicht so ruhig, die Laufbänder beschleunigen den Verkauf ungemein
Wiegeeinheit am Laufband

Die erste Kiste eines jeden Bootes wird mit einem laminierten Blatt mit dem Bootsnamen versehen

Bis zum nächsten Mal,
eure Henni